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Die Frau aus Aquador
17.07.04

In meine Jugend zurückversetzt fühle ich mich, treibe herum und bleibe irgendwo hängen. Dieses Mal lande ich mit meiner Tochter auf einer Party im Haus eines Begüterten, den ich nur flüchtig kenne. In diesem Haus jedenfalls war ich noch nie.Das Anwesen liegt in Urach. Jetzt fällt mir wieder ein, er arbeitet beim Arbeitsamt dieser Stadt, und zwar bei der Künstlervermittlung. Heute ist kein Arbeitstag. Es ist einer der Feiertage um die Jahreswende, deshalb das sorglose Herumtreiben. Jahreswende? mitten im Sommer? Es muss sich wohl um Festtage des mayanischen Kalenders handeln. [Als ich später mit jemandem über dieses Erlebnis sprach, fiel uns auf, der 17.07.04 war mein energetischer Geburtstag, Hund drei] Ich erwarte nichts von dieser Party, hocke nur herum. Es genügt mir, dass meine fünfjährige Tochter zu einer lustigen Schar von Kindern gefunden hat. Dem Hausherrn und seinem Freund scheinen die übermütigen Kinder Sorgen zu machen. Ich sehe sie beschäftigt, die Feger von ihren Wandmöbeln fernzuhalten. Deswegen wohl werden wir in den Garten geladen.

Es ist ein beeindruckender Park, mit einem großen Pavillon mitten drin und einem Teich, der von der Urach gespeist wird, die am Park entlang fließt. Meine Tochter kommt her. Wir legen uns auf den Bauch und schauen ins Wasser. Fische flitzen herum. Da, plötzlich naht sich ein großer, ein Gründling. ,,Ein Wels", mutmaße ich flüsternd.
Er kommt so nah, dass er seinen Mund fast an unseren Nasen reibt. Er ist unfassbar groß. Als er den Kopf noch höher hebt, seh ich die Barthaare links und rechts herabhängen. Wir verharren staunend. Er scheint uns zu mustern. Als ich den Gastgeber höre, rufe ich gedämpft, ihr habt ja prächtige Fische. Er greift im Baum darüber nach einem Netz. Doch wie er es anfasst, ist der Fisch weg. Meine Tochter springt weg, aber ich bleibe noch eine ganze Weile liegen, in der Hoffnung, dieses Wunderwesen nochmal zu sehen.
Von drinnen höre ich den Hausherrn schimpfen. Offenbar ist ihm jemand an seine persönlichen Sachen gegangen. Ich gehe nach drinnen und schaue, ob die Kinder was angestellt haben. Scheint nicht so, nur die Überempfindlichkeit eines Reichen.

Nun gerate ich in einen Raum voller Frauen. Eine unter ihnen zieht mich ganz speziell an. Die Sympathie scheint gegenseitig zu sein. Wir schwatzen und schwärmen. So habe ich mir eine Frau immer gewünscht. Ich bin nur Empfindung und vergesse die Zeit. Ein äußeres Klopfen meldet, dass es Zeit zum Aufbrechen ist. Ich entwinde mich dieser schönen Zweisamkeit unter den Vielen und gehe, um mich beim Gastgeber zu bedanken.
,,Dann bis bald mal bei dir", sagt er.
,,Wissen Sie denn, wo ich wohne?, frage ich überrascht.
,,Doch, einmal war ich schon bei euch", entgegnet er.
Vage erinnere ich mich daran. Erkläre jedoch, dass ich gerade in schwierigen Umständen stecke und dass es mir lieber sei, wieder hierher zu kommen. Er nickt einladend.

Als ich mich auch von den Frauen verabschieden will, reagiert sie ganz erschrocken. Das Wasser schießt ihr in die Augen. Ich weiß nicht, was sie sich vorgestellt hat, wie lange ich hier bleiben würde. Ich bin doppelt gerührt. Unsere Nähe muss auch ihr viel bedeutet haben. Ich verabschiede mich von den anderen Frauen. Sie und ihre Schwester stehen an der Theke im Flur. Einen Augenblick bin ich unsicher, welcher von beiden ich denn so nahe gekommen bin. Es ist die kleinere – beide sind groß – die emotionalere. Sie rennt plötzlich weg. Die größere bleibt, sie ist fast noch schöner als ihre Schwester, aber kühler. Sie lässt sich drei Mal auf die Wange küssen.
Dann laufe ich, um die Schwester zu finden. In einem Gastzimmer sitzt sie und schmollt.
,,Wo kann ich dich denn wieder treffen?, frage ich.
,,Morgen werde ich zurückfliegen", stößt sie hervor.
,,Wohin fliegst du denn?", möchte ich wissen.
Widerstrebend teilt sie mir mit, dass sie in Aquador wohne. Wenn ich recht verstanden habe, ist das eine Insel. Sie meint gewiss Ecuador, eine Insel vor Ecuador, denke ich. So weit - jetzt werden meine Augen feucht.
Ich erfahre, sie ist Haushälterin dort, bei einem Missionar der alten indianischen Kultur. Eine Insel vor Ecuador? Ich muss an die Galapagos denken. Eine schreckliche Vorstellung - diese wunderbare Frau auf einer Insel, die von lauter Echsen bevölkert ist.
Ich bitte um ihre Adresse, damit wir uns schreiben können. Enttäuscht schüttelt sie den Kopf. ,,Briefe schreiben, wie soll denn das gehen?"
Sie steckt mir eine Nummer zu, zwei Ziffernfolgen getrennt durch einen Schrägstrich. ,,Telefonieren", sagt sie, ,,ist das einzige, was in Frage kommt."

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