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Hotel für Glaubensangehörige
15.07.04

Bis spät in der Nacht an einem Webauftritt für Malu arbeitend, blieb ich über Nacht in der französischen Stadt. Die späte Arbeit und Recherche im Netz ist mir nicht bekommen. Früh bin ich wieder aufgewacht und darauf wie ein Fremder durch die Stadt geirrt.

Es ist etwas Seltsames in der Luft, irgendwas spielt sich ab draußen, als würden Faschingstolle zur falscher Jahreszeit einen Morgenstreich vorbereiten. Mich zieht’s in die fremde Stadt hinaus, die noch im Halbdunkel liegt. Unsere Straße mit den hohen alten Wohnhäusern führt abwärts auf eine breitere Straße. Hier zieht eine Gruppe daher, die sich durch ihre großen Ledertaschen als Musikanten, als Spielende zu erkennen geben. Ich folge ihnen, einen Platz erwartend, wo viele zusammenkommen und gemeinsam musizieren. Sie verschwinden in einer Lücke zwischen den hohen Häusern. In diesem Leerraum erhebt sich stufenförmig ein Hügelnach hinten, er scheint aus einem Schutthaufen entstanden zu sein. Überall hocken Leute, mehrheitlich junge. Ich steige auch hoch, setze mich auf eine plattgesessene Stelle und erwarte, dass musiziert wird.
Der Hügel ist aus Schutt gebildet, eine weißgraue Schlacke, von den vielen Nutzern weich gesessen und getreten, gibt dem Ganzen den Anblick einer natürlichen Ablagerung. Auf den unterschiedlichen Stufen hocken hauptsächlich Jugendliche. Sie gaffen mich an: Was will denn der hier, scheinen sie sich zu fragen. Aus einzelnen Wortfetzen, aus bestimmten Haltungen schließe ich, das sind alles Internetfreaks, Hacker, Surfer, Chatter, Spielende, Webtagebuchschreibende.
Einer ist ganz nett, er setzt sich näher zu mir her.
,,Also, sie sind Student?", fragt er.
Soll ich ihm jetzt meinen Werdegang erzählen? Will er bestimmt nicht hören. Also schweige ich.
,,Ist schon okay", bemerkt er nachsichtig. Im Sinne von, auch du hast deinen Platz hier, auch wenn du ganz andere Dinge treibst.
Auf ein Konzert warte ich vergeblich.

Auf dem Rückweg nach oben, treffe ich auf einen Freund von früher, wir gehen ein paar Schritte zusammen. Dabei kommen wir an einer Stelle vorbei, wo die Baufirmen eine breite Schneise in die Häuserreihen geschlagen haben. Die Trümmer der Häuser liegen noch herum. Der Freund klagt über die vielen Veränderungen in der Stadt. Ich wage vorsichtig einzuwenden, dass es ohne Abbruch keine Neuerungen geben könne. ,,Ist wahrscheinlich für die Kanalisation oder die Straße", versuche ich ihn aufzumuntern. Doch als ich, über die Trümmer hinweg, in der Ferne ein Gewirr von unter und überführenden Straßen sehe, werde ich stumm.

Als ich die Straße wechsle, um zum Haus hoch, in dem ich logiere, zu gelangen, öffnet sich für einen Augenblick die dichte graue Wolkendecke. Ich blicke direkt ins Hochgebirge. Es zeigt sich mir die kalte, einsame Höhe eines Bergriesen. Ein erschütternder Anblick. Der trifft mich wie eine Vorahnung.
Am Nachmittag breche ich, einer Einladung folgend, nochmal auf. Die Adresse leitet mich in den noch höher gelegenen älteren Teil der Stadt. In einer gebogenen Straße bleibe ich vor einem wuchtigen, alten Haus stehen, aus mächtigen dunklen, fast schwarzen Balken gezimmert. Hotel für… steht über der wuchtigen Eingangstür. Eine ganze Reihe von Begriffen sind aufgeführt, von denen mir nur der allgemeinste, Glaubensangehörige, geblieben ist. Obwohl ich weder auf der Einladung noch auf der Tafel eine konfessionelle Bezeichnung sehe, vermute ich auf Grund des Alters des Hauses, dass es eine katholische Einrichtung sein könnte.
Der Hotelier ist ein Mensch, der mich sehr beeindruckt. Er scheint mich zu kennen. Seltsamerweise erinnert er mich an den Bootsverkäufer in Südfrankreich. Ein Gesicht mit viel Lebenserfahrung, sehr praktisch, nichts Frömmelndes. Er spricht vom Betreffenden, der für mich da sein werde. Ein verwachsener Mensch neben ihm spricht mit schneller Zunge dazwischen.
,,Nehmen Sie ihn nicht wörtlich", will mich der Herbergsleiter beruhigen. Dabei habe ich kein Wort verstanden. Ich erfahre die Zeiten, an denen ich zum Unterricht kommen kann.
,,Ich muss jetzt aber erst noch in die Stadt", halte ich vor, um keine Verpflichtung einzugehen.
Vom Haus weglaufend ruft mir von oben jemand nach „Wie oft soll der Unterschied zwischen deinem Vater und dir noch wachsen?!“
Mir ist ganz unheimlich zu Mute. Ich werde mir dreimal überlegen, ob ich dieses Angebot einer Fortbildung und Mentorschaft annehmen werde.

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